Liebe Karin,
du arbeitest schon seit acht Jahren mit der CANTIENICA® Methode.
Was war die Motivation, auf mein damals sehr neues, sehr an-deres Beckenbodentraining
umzustellen?
Ich habe vorher andere Beckenbodentrainings mitgemacht, verschiedene Weiterbildungen
besucht, alles ausprobiert, was es auf dem Markt gab, a-ber nichts überzeugte
mich wirklich. Einmal lief ich stehenden Fußes aus einem Seminar,
da war alles so diktatorisch, bestimmend, überstülpend, alle
Menschen wurden über einen anatomischen Leisten geschert. Dein Training
stellt die individuelle Wahrnehmung ins Zentrum, die Frauen lernen, sich
selbst, den eigenen Gefühlen zu vertrauen. Was sich wirklich gut
anfühlt, ist richtig. Das gefiel mir vom ersten Satz an, den ich
von dir las. Und wenn ich ganz ehrlich bin, machte ich die Ausbildung
vor allem für mich selber. Ich suchte natürlich eine Möglichkeit,
meinen Frauen über die Lebensphase der Schwangerschaft
und Rückbildung etwas von Dauer mitzugeben, ihnen ein Wissen an und
in die Hand zu geben, mit dem und an dem sie sich überall und jederzeit
aufrichten können. Ich war selber in einer schwierigen Situation,
Beruf, Haushalt, zwei Kinder, ich liebe meine Familie, ich liebe meine
Arbeit, und trotzdem bewegte ich mich am Rand meiner körperlichen
Kraft. Ich realisierte schnell, dass mir diese intensive Körperarbeit
Kraft gibt, körperlich und seelisch. Mir wurde plötzlich klar:
Je besser es mir selber geht, umso besser kann ich es weiter geben, diese
Körperarbeit ist ein Geschenk für mich selber, es macht mich
auch zu einem guten, aufrechten Vorbild.
Damit sprichst du die Essenz meiner Methode an: Je mehr die Methode
für dich tut, je intensiver du sie umsetzt, umso besser kannst du
sie weiter geben. Das bedeutet auch, sich selber ernst zu nehmen, auf
der Prioritätenliste ganz nach oben zu setzen, nicht erst die Familie
versorgen, die kranke Arbeitskollegin ersetzen, die Überstunden absolvieren
und wenn dann noch ein Funke Energie bleibt, für sich selber zu schauen.
Das funktioniert nicht. Viele Frauen, ich selber eingeschlossen, lernen
das auf die ganz schwere Tour, müssen sich erst komplett ausgebrannt
fühlen, bevor sie sich eingestehen können: Ich bin wichtig!
Ich muss dafür sorgen, dass es mir gut geht.
Du auch willkommen im Club. Das ist auch meine Beobachtung, Frauen
tendieren dazu, sich total zu verausgaben. Wenn etwas schief läuft,
suchen sie den Fehler zuerst bei sich, ich habe zuwenig investiert, ich
muss noch mehr tun, ich kann nicht joggen gehen, Gymnastik machen, bevor
alle Arbeit weg ist ..... Die Arbeit nimmt aber nie ein Ende, die eigene
Kraft schon, wenn sie nicht erneuert wird ..... Die Aufrichtung des Körpers
durch deine Methode schenkt Selbstvertrauen, Selbstsicherheit, ja Selbstwertgefühl,
die Menschen spüren, sie können sich auf ihren Körper verlassen,
alles, was sie in ihn an Aufmerksamkeit, Bewusstsein und Wahrnehmung investieren,
kriegen sie in Form von Kraft, Energie, Schönheit tausendfach zurück.
Dein Wort in allen Frauenohren! Ich bin glücklich über
die Ermutigung durch dich und deine Kolleginnen, meine Methode für
schwangere Frauen auszuarbeiten. Alleine hätte ich mich nicht getraut,
ich habe nie ein Kind geboren, ich kann mich nicht auf eigene Erfahrungen
verlassen. Du hast den Vorteil der eigenen Erfahrung, du hast zwei Kinder.
Das stimmt schon, ich weiß, wie sich schwanger sein anfühlt,
welche Stimmungen, Ängste, körperlichen Empfindungen Schwangere
durchmachen. Andererseits steckt die Mütterlichkeit in
allen Genen. Du stellst eben geistige Kinder auf die Welt.
Ich hatte die sprichwörtliche Schere im Kopf, hatte immer
gehört, was Schwangere alles nicht dürfen, nicht können,
Sport sei gefährlich, Schonung über alles, ohne deine Mitarbeit
wäre ich gar nicht auf die Idee gekommen, spezielle Kurse für
Hebammen und Schwangere zu kreieren.
Dabei ist die Methode so sanft, so sicher. Wenn die Frauen auf
sich hören, sich selber fragen, was ihnen gut tut, wirklich wahrnehmen,
was ihr Körper sagt, wie er reagiert, so kann nichts schief gehen.
Die Aufrichtung des Körpers und die Vernetzung von allem mit allem
ist eine wunderbare Erfahrung. Mich hat vom ersten Augenblick an deine
wertschätzende, liebende Art, Menschen zu mehr Wahrnehmung zu führen,
beeindruckt. Das kommt ja auch in deinen Büchern zum Ausdruck. Du
betonst immer wieder: Die wichtigste Autorität für sich selbst
ist man selbst. Eine Position, eine Haltung, eine Bewegung ist nur gut,
wenn sie für einen selbst gut ist, wenn ich mich wohl fühle.
Das Prinzip hatte ich als Hebamme immer schon gelebt, es war mir immer
schon wichtig, die Frauen zur selbstbestimmten Geburt zu führen,
deine Methode gab mir endlich das Werkzeug an die Hand, die ganz klaren
anatomischen Grundsätze und Anleitungen, die Sprache, die Berührungen.
Diese Methode ist der Schlüssel für die selbstbestimmte Geburt.
Wie meinst du das?
Um selbst bestimmen zu können, in welcher Position sie gebären
möchte, braucht die Frau Kraft und Beweglichkeit und Vertrauen in
den Körper, dass er in der Situation das Richtige macht. Es nützt
nichts, wenn der Kopf und das Herz etwas möchten, was der Körper
aus Mangel an Kraft nicht bringen kann.
Selbstbestimmt und aufrecht kann die werdende Mutter auch wählen,
was sie vorlebt. Sie ist schon während der Schwangerschaft Vorbild
für das Kind. Es lernt Aufrichtung, Ausdehnung schon im Mutterleib
kennen. Haltung basiert ja ganz stark auf Imitation.
Vor bald 20 Jahren betreute ich eine Afrikanerin, mit der wunderbaren,
aufrechten Haltung, wie sie Afrikanerinnen haben. Für sie war von
Anfang an klar, wie sie sich bewegen wollte, in welcher Position sie gebären
wollte: aufrecht. Zu einer Zeit, als in unseren Breitengraden die Entbindung
im Liegen noch die Norm war. Das hat mich sehr beeindruckt, ich habe die
Episode auch immer wieder erzählt. Heute ist die Aufrechte meine
liebste Gebärposition, dank deiner Methode kann ich den Frauen zeigen,
wies geht, sie können den Unterschied spüren. Wer das
Selbstbewusstsein der Aufrichtung wahrgenommen hat, gibt sie nicht mehr
her. Die Frauen ziehen sich in jeder Situation in die Länge, sogar
während der eigentlichen Geburt. Diese Aufspannung hat auch großen
Einfluss auf die Psyche. Die Aufspannung erschöpft viel weniger.
Die Naturvölker zeigen aufrechte Gebärstellung, aufrechte
Mütter beim Stillen, aufrechte Fruchtbarkeitsgöttinnen. Es gibt
zehntausend Jahre alte Felszeichnungen in Zentralafrika, die Frauen aufgerichtet
beim Gebären zeigen, eine Frauengestalt steht gar aufrecht. Auch
ägyptische Hieroglyphen zeigen die Gebärenden pfeilgerade aufgerichtet.
In Indien gebaren Frauen aufrecht, meist ge- und unterstützt von
anderen Frauen. In unserer Kultur sind dienende Frauen krumm. Es ist mir
bewusst, das ist eine unstatthafte Verallgemeinerung, aber ich will es
so pointiert sagen: Viele Hebammen halten sich selber krumm, Physiotherapeutinnen,
Krankenschwestern, Pflegerinnen verinnerlichen die hingebungsvolle, dienende
Haltung so sehr, dass sie nicht mehr heraus finden. Auch krummen Ärztinnen
begegne ich in meiner Arbeit sehr, sehr häufig. Dienende, liebende
Frauen machen sich krumm. Als müssten sie sich für das Gute,
das sie tun, auch noch ent-schuldigen. Entbindungshelfer kenne ich noch
keinen, Physiotherapeuten, Ärzte, Krankenpfleger gehen aufrechter.
Ist Haltung kultureller Ausdruck? Mutter-und-Kind-Gemälde aus dem
Westen zeigen die Mutter devot dem Kind zugekrümmt, nur die Muttergottes
Maria mit Kind steht auf den Gemälden, die ich kenne, so gerade und
aufrecht und eine afrikanische Fruchtbarkeitsgöttin.
Männer machen sich in unserer Kultur doch genau so krumm.
Nein, Männer machen sich steif. Die Achtung-steht!-Haltung
mit steifem Becken, steifem Brustpanzer kommt häufig vor. Schultern
hoch ziehen, Brust einsinken lassen, Becken weich nach vorne kippen ist
ein weibliches Muster. Schau mal die Mode-Models auf Laufstegen oder auf
Modefotografien an. Da wird diese Haltung kultiviert. Die gleichen Frauen
haben im Privatleben, Gott sei Dank, eine ganz andere Haltung, siehe Claudia
Schiffer und Co. Da habe ich hübsche Episoden zu erzählen. Ich
fing vor 10 Jahren mit Beckenbodentraining in Gruppen an. Eine Frau kam
in die Lektion und berichtete, ihr Mann sehe es nicht gern, dass sie plötzlich
so aufrecht gehe. Eine sehr junge Frau musste ihrem Vater erklären,
dass sie beabsichtige, fortan genau so stolz und aufrecht durchs Leben
zu gehen, auch wenn es ihm nicht gefalle.
Wichtig ist doch, dass viele Menschen die äußere
und damit auch innere Aufrichtung suchen.
Das ist nicht meine Erfahrung. Die meisten suchen den Ausweg aus
dem Krummsein erst, wenn sie Schmerzen haben. Viele Menschen sind mit
der Halbaufrichtung ganz zufrieden. Und ich möchte es hinausschreien
in die Welt: Richtet euch auf. Es ist so schön, voll aufgespannt
und federleicht durchs Leben zu gehen. Bekennt euch zum Menschsein. Hört
auf, daran zu glauben, die Schwerkraft drücke uns nieder. Die Zeit,
das Alter machen nicht klein, krumm und klein machen wir uns selber. Steht
auf. Ein Körper der 100 werden kann, verlangt Bewusstsein, Selbstbewusstsein,
Wahrnehmung. Nutzt die Muskeln, bekennt euch zu eurer Kraft ..... Aufrichten
macht glücklich und schön. Ein Kind, das schon im Mutter-leib
Aufrichtung, Aufspannung des Menschseins erfährt, erlebt, spürt,
fühlt, muss nicht wie wir so viele Jahre danach suchen, ich kam ja
erst mit 42 und nach unendlich viel Schmerzen darauf ....
Das ist doch großartig, das Leben, die Natur verzeihen uns so viel,
es ist nie zu spät, sich aufzurichten. Aufrichtung ist Aussöhnung,
ohne Schuld und schlechtes Gewissen neue Wege suchen, den ureigenen Weg
gehen ....
Schönes Schlusswort für die werdende Mutter. Es ist
großartig, wenn 80-, 90-jährige Menschen sich entschließen,
noch einmal zu wachsen. Ich vertrete trotzdem das Kind: Aufrecht auf die
Welt kommen, selbstbestimmt anfangen was für ein Geschenk.
Ich habe zwar ganz viel durch Schmerzen gelernt, und wahrscheinlich hätte
ich ohne meine Leidensgeschichte die Methode nie entwickelt, trotzdem
und erst recht wehre ich mich dagegen, dass Lernen wehtun muss. Aufrichtung,
schwerelose, federleichte Aufrichtung ist ein Geburtsrecht des Menschen.
MamaFitness
Das einzigartige Training für eine unbeschwerte Schwangerschaft
Benita Cantieni/Karin Altpeter-Weiss
Verlag G/U. 160 Seiten.
ISBN 3-7742-6478-3.
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